Ein Interview mit unserem Schulsozialarbeiter Christian Buitenduif und der Beratungslehrerin Frau Warneke
Was genau ist denn Mobbing?
Buitenduif Von Mobbing spricht man per Definition erst, wenn es über einen langen Zeitraum geschieht, genau genommen 3 Monate, gezielt gegen eine Person gerichtet ist und regelmäßig stattfindet. Der Begriff Mobbing wird umgangssprachlich sehr oft verwendet, aber in den meisten Fällen ist das dann mehr ein Ärgern oder Piesacken.
Warneke Natürlich piesackt man sich unter Freunden und macht auch mal einen dummen Spruch, aber das ist noch kein Mobbing. Das kann die betroffene Person aber natürlich auch als ätzend empfinden und sich damit nicht wohlfühlen.
Buitenduif
In welcher Altersgruppe ist Mobbing denn am Andreanum besonders ausgeprägt?
Warneke Ich glaube, es gibt nicht den einen Jahrgang, der zu Mobbing neigt, und den Jahrgang, in dem alle schön friedlich sind. Klar ist es in Zeiten der Pubertät etwas anstrengender, weil man sich da mehr mit sich selbst beschäftigt, versucht sich selbst zu finden und sich abgrenzt. Das funktioniert ja auch vermeintlich leichter, indem man andere herabsetzt, um sich selbst heraufzusetzen. Da kann es schnell mal sein, dass man an den Rand der Gruppe gerät und ausgeschlossen wird, wenn man beispielsweise nicht bestimmte Schönheitsideale erfüllt.
Buitenduif Dem stimme ich zu. Das meiste, womit ich hier zu tun habe, sind eher Konflikte und Streitereien, weniger Mobbingstrukturen. Und natürlich haben jüngere Schüler ganz andere Beweggründe als ältere Schüler, hier gibt es öfters mal Probleme, weil zum Beispiel der Freund aus der Grundschule auf einmal etwas mit anderen Mitschülern macht.
Was kann man denn gegen Mobbing tun?
Buitenduif Ich habe ja eben schon angesprochen, dass ein Betroffener des Mobbings wenige Chancen hat, allein etwas an der Situation zu ändern. Leider sträuben sich viele, Hilfe zu holen, aus Angst, dass sie deshalb noch weiter gemobbt werden, aber trotzdem ist das sehr wichtig. Man sollte sich bei Mobbing an Erwachsene wenden. Wir haben hier ja einige Fachkräfte an der Schule, die eine bestimmte Fortbildung gemacht haben, bei der sie gelernt haben, Betroffenen zu helfen. Man bildet zum Beispiel eine Unterstützergruppe von verschiedenen Schülern, ohne jemandem die Schuld zu geben.
Warneke Das zeigt ja auch, was andere Mitschüler*innen tun können. Dass man sich auch mal an die Seite des Betroffenen stellt, selbst wenn das vielleicht seinen eigenen Ruf schadet. Einfach mal eine Partnerarbeit mit dieser Person macht, damit sie nicht wieder übrigbleibt, oder jemanden in seine Sportmannschafft wählen, damit er*sie nicht wieder der*die Letzte ist. Bewusste Zeichen der Solidarität setzen. Auch da sollte man versuchen, seine Freunde mitzuziehen und diese davon überzeugen, dass es nicht schlimm ist, seine Pause statt zu dritt mal zu viert zu verbringen. Man muss im Umfeld neue Strukturen schaffen, denn meistens ist das Selbstwertgefühl der Opfer schon so weit runtergefahren, dass sie selbst nicht mehr wissen, wie sie sich helfen können.
Meistens ist es auch so, dass die Mitschüler*innen genau wissen, dass das, was Person X gegenüber Person Y macht, total falsch ist und das Verhalten von X total bescheuert finden. Weil dann aber ein Regime der Angst herrscht, ist es eben schwierig, gegen jemanden, der dominant auftritt, aufzustehen und zu sagen „Das finden wir nicht richtig.“ Und das alleine hinzukriegen, ist halt schwer, aber wenn auf einmal 25 Schüler*innen dastehen und X ihre Meinung sagen, dann war`s das.
Wieso sollten Schüler*innen Ihnen als Beratungslehrern vertrauen, wenn ihre Probleme aufgrund von Vertrauensbrüchen entstanden sind?
(schweigen)
Warneke Ich glaube, mit der Frage sprichst du genau das Dilemma an, in dem die meisten Leute stecken, und deswegen ist es auch so schwer, dass sie auf sich aufmerksam machen. Also gerade weil sie ja das Vertrauen in andere und leider auch in sich selbst verloren haben, kapseln sie sich in ihren kleinen Kokon ein und werden dadurch ja noch einfacher zu einer Zielscheibe, weil eben so wenig Gegenwehr zu erwarten ist. Häufig ist es bei Problemen auch so, dass ein*e Freund*in zu uns kommt und die Geschichte erzählt: „ Also, ich habe da einen Freund…“ Und dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder der*die Freund*in, den das wirklich betrifft, wird das nächste Mal zu einem Beratungsgespräch mitgeschleppt oder der Freund in der Geschichte ist in Wirklichkeit die Person selbst, die ihre Geschichte in der dritten Person erzählt. Und dann ist es tatsächlich wichtig, und das ist dann der Vorteil von Herr Buitenduif, mir und anderen in der Beratung tätigen, dass wir eben nicht in der Mobbingstruktur drin sind. Die Schüler haben uns noch nicht erlebt, wie wir bei einem dummen Spruch nicht reagieren oder wie wir nicht darauf eingehen, wenn irgendjemand an die Wand gedrängt wird oder, oder, oder… Den Vorteil, den wir haben, ist, dass wir in den meisten Fällen Außenstehende sind.
Buitenduif Mobbing entsteht meistens in Gruppen, die man sich nicht selber aussucht, wie z.B. in der Schule oder am Arbeitsplatz, und ist eben ein Gruppenphänomen. Es sind nicht nur die Mobber, die daran beteiligt sind, sondern auch die Mitläufer und die meisten Leute, die gar nichts machen. Die Weggucker denken „Ich mach ja nichts“, aber genau dadurch unterstützen sie trotzdem das Mobbing, weil sie nichts dagegen tun und den, der das macht, noch darin bestärken, denn es sagt ja niemand etwas dagegen. So ist das Vertrauen in diese Gruppe beim Gemobbten ziemlich zerstört und da wir nicht in dieser Gruppe sind, fällt es leichter, sich an uns zu wenden. Wichtig ist zu wissen, an wen man sich wenden kann. Und vielleicht besteht ja auch die Angst, dass von uns Dinge gemacht werden, die sie nicht wollen.
Warneke Genau. Der*Die Beratungssuchende*r steuert den Prozess. Er oder sie kann sagen, ob mit bestimmten Personen geredet werden soll, z.B. ob es den Eltern erzählt werden soll oder eben nicht.
Buitenduif Nach §203 StGB unterliegen wir ja auch der Schweigepflicht. Wenn wir nichts erzählen sollen, erzählen wir auch nichts.
Dana Leonie Dietrich (04/19)