Auf den ersten Blick scheinen viele Dinge in Wien vor allem wegen ihrer bemerkenswerten Vergangenheit berühmt zu sein. Der Stephansdom, die zahlreichen Kaiser*innen aus der Zeit der Habsburger*innen, die Ringstraße mit dem eindrucksvollen Rathaus, der Staatsoper und dem Burgtheater… Heute verbindet man die Stadt neben diesen Berühmtheiten vor allem mit (klassischer) Musik und altehrwürdiger Theaterkultur. Doch auch (wenn man es denn so ausdrücken darf) „lebendigere“ Tradition gehört zu der österreichischen Hauptstadt.
Nun, machen wir keinen Hehl darum, denn natürlich steht schon im Titel, worum es geht: die Spanische Hofreitschule.
Kinder finden vermutlich weniger Interesse an den vergilbten Notenpapieren von Beethoven und Mozart oder dem barocken Baustil der Karlskirche, aber Tiere… Tiere sind doch immer etwas Besonderes, das man sich gerne ansieht. Zugegeben, wie in einem Streichelzoo geht es in der Spanischen Hofreitschule nicht zu: Denn hier werden über 70 (vornehmlich weiße und graue) Lipizzaner-Hengste – eine laut allgemeinem Tonus besonders edle und gelehrige Pferderasse – die Ferdinand I. im 16. Jahrhundert aus Spanien (wo er aufgewachsen war) mitbrachte, zur klassischen Reitkunst ausgebildet. Aber immerhin kann man für ein wenig Geld Zeuge*Zeugin des Trainings der Tiere werden, das die Bereiter*innen und ihre Pferde an fünf Tagen pro Woche auf der sogenannten Sommerreitbahn absolvieren. Seltener, aber dennoch regelmäßig, ergibt sich auch die Möglichkeit, eine größere Vorführung mit den Lipizzanern zu sehen: das „Ballett der weißen Hengste“, wie es auch genannt wird, bestehend aus anspruchsvollen Sprüngen, Figuren und Tänzen, die von klassischer Wiener Musik begleitet werden.
Im täglichen Training werden diese herausfordernden Kunststücke seltener geprobt. Hier geht es vielmehr um Lockerungsübungen, Stärkung der Muskulatur und ähnliches.
Tatsächlich geht es der Spanischen Hofreitschule nicht nur darum, auf eine möglichst elegante Weise weiße Hengste zu reiten, sondern auch, eine geschichtsträchtige Tradition aufrechtzuerhalten, weshalb wir nun doch einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen sollten:
Das Jahr 1565 kann gewissermaßen als Ursprung der Spanischen Hofreitschule gesehen werden. Damals wurde eine nahe des heutigen Josefsplatzes gelegene offene Reit- und Turnierbahn, die als Vorgänger der heutigen Hofreitschule gilt, das erste Mal dokumentarisch erwähnt. Zudem wurde die „Stallburg“, die, als sie fünf Jahre zuvor fertiggestellt worden war, noch Residenz für Ferdinand I. sein sollte, jedoch nie als solche genutzt wurde, umgebaut und zur Unterkunft für die Leibpferde der Habsburger*innen.
1729 begann schließlich der Bau der Winterreitschule, einem barocken Gebäude im Michaelertrakt der Hofburg (auch die Stallburg und Sommerreitbahn gehören zur Hofburg), in dem die adlige Jugend und die Pferde zu Kunstritt und Kriegsführung zu Ross ausgebildet werden sollten. Auch pflegten österreichische Kaiser*innen, die Pferde zu wichtigen Anlässen zu reiten.
Seit 100 Jahren werden die spanischen Lipizzaner (von denen die „Spanische“ Hofreitschule natürlich ihren Namen hat) in Piber in der Weststeiermark gezüchtet. Die Tiere sind hier direkte Nachkommen der ehemaligen kaiserlichen Herde. Bis heute werden ausschließlich Hengste von diesem Gestüt in der Spanischen Hofreitschule ausgebildet. Mit 4 Jahren werden sie nach Wien bzw. in ein Trainingszentrum in Heldenberg übergesiedelt, um dort erste Lektionen wie bestimmte Gangarten zu erlernen. Nach 6 Jahren intensiven Trainings mit einem*r Bereiter*in sind die Hengste mit 10 in der Regel bereit, bei den großen Vorführungen aufzutreten.
Die zur Schau gestellte Reitkunst ist über die Jahrhunderte hinweg immer seltener geworden – besonders Kriege und Revolutionen hatten zur Folge, dass diese Tradition in den Hintergrund geriet. Die Spanische Hofreitschule ist heute deshalb die einzige traditionelle Kunstreitschule, die für eine solch lange Zeit von immerhin über 400 Jahren ohne Unterbrechung Bestand hat. Neben dem hohen Anspruch an Pferde und Bereiter*innen sieht sie sich auch in der Aufgabe, die traditionsgemäße Lipizzaner-Zucht fortzuführen und die klassische Reitkunst als solche zu bewahren. Dafür sind die Bereiter*innen während und nach Abschluss ihrer 8-12-jährigen Ausbildung darum bemüht, die größtmögliche Eleganz aus den natürlichen Bewegungen der Pferde herauszuarbeiten und zu kultivieren. Dabei, so ist es auf der Website der Spanischen Hofreitschule nachzulesen, soll eine enge Bindung zwischen Tier und Reiter*in entstehen, die auch durch Ausritte und gemäßigtes Training in der Natur während der gemeinsamen Aufenthalte im Trainingszentrum Heldenberg gestärkt werden soll, die zwei- bis dreimal im Jahr auf dem Programm stehen.
Die Arbeit an der Spanischen Hofreitschule mag idyllisch klingen, doch in den vergangenen Jahren gab es auch immer wieder Anlass zur Kritik an den Arbeitsweisen. Als die Spanische Hofreitschule im Jahr 2015 als immaterielles Kulturerbe der Menschheit in die UNESCO-Liste aufgenommen wurde, wurden Stimmen laut, die unter anderem eine scheinbar nicht-artgerechte Haltung der Pferde in den Boxen und zu viel Lärm bei den Veranstaltungen beanstandeten. Besonders viel Aufsehen erregten zudem Bilder aus den Trainingseinheiten mit den Lipizzanern, auf denen zu sehen sein soll, wie die Bereiter*innen der Tiere von der sogenannten Rollkur Gebrauch machen. Bei dieser umstrittenen Methode wird der Kopf des Pferdes mit den Zügeln so weit nach unten gezogen, dass es sich quasi selbst in die Brust beißt; die Bewegung ist extrem unangenehm für das Tier, kann starken psychischen und physischen Stress verursachen und im schlimmsten Fall sogar schwere Schäden der Halswirbelsäule zur Folge haben. Die damalige Leiterin der Hofreitschule verteidigte die auf den Bildern zu sehende Drehung des Kopfes als ungefährliche Dehnübung des Halses. Ein Gerichtsprozess, der sich mit dem Fall beschäftigen sollte, wurde schon nach kurzer Zeit mit der Begründung eingestellt, die vorliegenden Befunde seien zu harmlos, um als ernsthafte Übertretung tierschutzrelevanter Bestimmungen angesehen zu werden.
Die Spanische Hofreitschule sagt von sich selbst, sie nehme die Schulhengste in ihrer physischen Individualität ernst und gehe bei ihrer Ausbildung nur so weit, wie es dem Tier möglich sei. Deshalb beherrschen auch nur die sensibelsten und talentiertesten Lipizzaner die anspruchsvollsten Kunststücke wie beispielsweise die Levade (dabei stellt sich das Pferd auf die Hinterbeine und zieht die Vorderbeine bis zur Brust ran). Die Spanische Hofreitschule agiert unter der Philosophie, dass das Pferd die Länge der Ausbildungsdauer bestimmt. Inwiefern dies der Wahrheit entspricht, lässt sich als Außenstehende*r selbstverständlich nur schwer beurteilen – auch wenn man davon ausgehen sollte, dass die Bereiter*innen darum bemüht sind, ihre Tiere gut zu behandeln, da sie schließlich so lange wie möglich gesund und fit für die Aufführungen bleiben sollen.
Zu diesem Zweck werden die über 70 Hengste zweimal wöchentlich einer tierärztlichen Untersuchung unterzogen, um etwaige gesundheitliche Probleme schnellstmöglich festzustellen und zu behandeln. Auch ein eigens für die Pferde angelegtes Solarium aus Wärmelichtlampen existiert in den Stallungen: Hier sollen die Hengste nach dem Training ihre Muskeln entspannen können.
Bei Institutionen, in denen Tieren außergewöhnliche Fähigkeiten abverlangt werden, ist es nie einfach, zu sagen, inwiefern die angewandten Methoden gerechtfertigt werden können. Ein Blick hinter die Kulissen wäre an diesen Stellen hilfreich, kann bei der Spanischen Hofreitschule für gewöhnliche Leute allerdings nur gegen Bezahlung und im Rahmen einer Führung durch die Stallungen gewonnen werden. Als Außenstehende*r kann man sich also nur schwerlich ein standfestes Urteil darüber bilden, wie vertretbar es ist, Geld an diese Institution zu zahlen, um sich Trainingseinheiten oder gar eine der großen Vorführungen anzusehen.
Mit Sicherheit lohnt es sich (wenn man denn schon einmal in Wien ist), Zeug*in der Arbeit einer der weltweit renommiertesten Schulen für klassische Reitkunst zu werden – mehr noch natürlich, wenn man selbst eine gewisse Bindung zu Pferden hat. Gerade als Tourist*in sollte man sich jedoch bewusst darüber sein, dass das Leben – auch in der Spanischen Hofreitschule – eventuell doch kein Ponyhof ist und alles stets mit einem kritisch hinterfragenden Blick zu betrachten ist.
In der Spanischen Hofreitschule gibt es eigentlich nur weiße und graue Pferde, trotzdem sind immer ein oder zwei braune Teil der Herde – laut den Bereiter*innen als Glücksbringer!
Funfact
Alea Unger
Bildquellen:
Einzug in die Spanische Hofreitschule: https://franks-travelbox.com/wp-content/uploads/2017/11/occ88sterreich-wien-schulquadrille-bei-einer-reit-und-dressur-auffucc88hrung-in-der-spanischen-hofreitschule-wien-occ88sterreich-rene-vanbakel-span-hofreitsch-1200×800.jpg
Lipizzaner-Kunststück: https://www.noeps.at/wp-content/uploads/2020/08/SRS_cPetraKerschbaum-1030×687.jpg