Jens Eisels „Cooper“ (Piper, 2022), ist ein Roman, nach dessen Lektüre man sich wundern mag, wo man hier das Meisterwerk verpasst hat. Natürlich sollte man Zitaten auf dem Einband niemals uneingeschränkt vertrauen, aber immerhin ist hier die Rede von einer „True Crime Story mit Tiefgang, psyhologisch subtil und spannend erzählt“ und über „den Mut der Verzweiflung, die Zukunftsgläubigkeit der USA unter Nixon und die Härte des Lebens“. Was nach einem amerikanischen Roman klingt, wie man ihn von T.C. Boyle erwarten würde, stammt jedoch von einem deutschen Autor. Die hier verkündeten Themen bleibt er schuldig.
Die „True Crime Story“ ist in diesem Fall die des namensgebenden Dan Cooper, ein Mann, welcher unter diesem Pseudonym 1971 ein Flugzeug entführte und mithilfe einer Bombendrohung ein Lösegeld von 200.000 US-Dollar erpresste, mit welchem er dann absprang. Trotz mehrerer Ermittlungen und Verdächtiger ist die Identität von Cooper bis heute nicht geklärt. In den USA scheint er einen gewissen Kultstatus erreicht zu haben, mit Verarbeitungen und Anspielungen in Serien und Romanen. Im deutschsprachigen Raum konnte ich keine größere Bekanntheit des Falls Cooper finden, hier ist Eisels zudem die erste literarische Verarbeitung. Auf den ersten Blick mangelt es dazu nicht an Potenzial: Wer war dieser Mann? Was waren seine Motive? Ist sein Kultstatus angemessen? Was Eisels Roman allerdings zurückhält, sind eine Reihe technischer und stilistischer Schwächen und der Mangel einer klaren Vision. Nebenbei wird eine der großen Schwächen des True-Crime-Genres deutlich.
Der Roman bietet schon zu Anfang einen recht holprige Leseeinstieg. Neben einer Widmung und einem Zitat sind die Versuche, Authentizität deutlich zu machen schwer zu übersehen. Neben dem üblichen Hinweis, dass das Geschilderte auf wahren Begebenheiten beruht, wird ein „United States Government Memorandum“ in voller Länge reproduziert. Derartiges scheint im Genre unverzichtbar zu sein. Viel Bedeutung für die Erzählung wird der aufmerksame Leser darin allerdings nicht finden.
Die Erzählung selbst wird mit einem Prolog über einen Angelausflug zweier Charaktere eingeführt, deren Relevanz für die folgenden Ereignisse sich in einer nebensächlichen Bemerkung erschöpft. Für die langen Abschnitte erlebter Rede im Prolog gilt das Gleiche, wobei man sich schon fragen kann, was dieses schriftstellerische Spielchen in der finalen Fassung eines lektorierten Manuskripts verloren hat. Ein kleiner Junge, Lee, und sein Vater fahren zum Angeln. Lee findet Banknoten, die Cooper bei seinem Absprung verloren hat. Prolog Ende. Erzähltechnisch ist hier bestenfalls die Einführung des Themas Materialismus festzustellen, wenn Lee überlegt, was er sich von dem Geld alles kaufen könnte. Kein Thema, das jemals prominent wiederkehrt.
Die Erzählung selbst leidet unter der Schwäche ihrer Charaktere. Diese werden anhand einer Art Kurzbiographie vorgestellt, bevor sie überhaupt richtig in Aktion treten. Dan Cooper wird zu Richard, welcher nicht die glücklichste Kindheit hinter sich hat, Vietnam-Veteran ist (wie nebenbei erwähnt wird und sich im weiteren Verlauf bestenfalls in ein paar Bemerkungen Richards zeigt) und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Mit dem Lösegeld erhofft er sich, diesem Leben zu entkommen. Deuteragonist ist Kate, eine Stewardess, die Mal als Jugendliche einen Schönheitswettbewerb gewonnen hat und mit ihrer Einstellung zu gesellschaftlichen und politischen Themen ringt.
Zwischen langen Abschnitten erlebter Rede, in welchem Charaktere praktischerweise ihren Lebensweg reflektieren und so jede Menge Exposition abliefern, und ebenfalls langer Dialoge wie das volle Gespräch der Piloten mit dem Tower, Geplauder über Baseball und einer Frühstücksbestellung Richards führt dieser schließlich auch seinen Plan aus. Zumindest wenn dieser Erzählstrang nicht gerade von Interviews mit einem FBI-Agenten, welcher an den Ermittlungen beteiligt war, unterbrochen wird. Das Wechselspiel mehrerer Erzählstränge, welches ein gutes Mittel zum Spannungsaufbau sein kann, scheitert hier an der Mangeln Spannung aller beider. Die Interviews sind in einer Form, mit welcher man sich als Journalist, Sachbuchautor oder Dokumentarfilmer vielleicht zufrieden geben könnte, als literarische Konstruktion ist das Sinnieren eines alten Mannes voller banaler Erkenntnisse mangelhaft.
Mit Richards Plan und dessen Ausführung sieht es ähnlich aus. Richard macht sich immer mal wieder Sorgen oder ist etwas nervös, sein Plan funktioniert trotzdem. Kate findet ihn beeindruckend, denn „der Mann, der neben ihr saß, schien von allem, was er tat, überzaugt zu sein.“ Plötzlich verachtet sie nämlich „Nixon und den Krieg“ und „hasste es, wie viele ihrer Mitbürger mit Schwarzen umgingen“, fängt überhaupt an, an allem zu zweifeln und ihr eigentlicher Traumjob gefällt ihr plötzlich auch nicht mehr. Das mag spannender klingen, als es ist, wenn man nicht weiß, wie derartiges in kleinen Nebensätzen wörtlich abgehandelt wird. Damit ist nicht nur der psychologische Tiefgang, sondern auch die Gänze der Charakterentwicklung innerhalb des Romans abgeschlossen. Die restlichen Charaktere sind allesamt flach.
Die Behandlung der angeblichen Themen wirkt unbeholfen, schlecht differnziert und ist bestenfalls Hintergrundmusik. Verhältnismäßig prominent ist der Vietnam-Krieg, inwiefern Richards Vergangenheit mit seinen Motiven zusammenhängt, wird nicht weiter betrachtet, der FBI-Agent fand den Krieg gut, Kate nicht und zofft sich mit den Piloten darüber. Das Wort „Vietnam“ taucht im gesamten Roman 10 Mal auf und hat einen so geringen Einfluss auf die Geschichte, dass offenbar Abschnitte wie dieser nötig sind:
„Passagiere durfte man unter keinen Umständen wecken, auch das hatte man ihr beigebracht. Und natürlich war das einleuchtend. So gut wie alles, was sie gelernt hatte, war für sie nachvollziehbar gewesen. Doch die Kate von damals gab es nicht mehr, und auch die Welt hatte sich grundlegend verändert. Tagtäglich gingen in den großen Städten Menschen gegen den Vietnam-Krieg auf die Straßen. Frauen setzten sich für ihre Rechte ein. Und obwohl Kate niemanden kannte, der in einer Kommune lebte, gefiel ihr die Vorstellung, Freud und Leid mit anderen Menschen zu teilen.“
Anders als man annehmen könnte, fängt Kate nun aber nicht an, wegen des Vietnam-Kriegs schlafende Passagiere zu wecken. Inwiefern Richard (welcher sich dazu nie explizit und überhaupt nur sehr wenig dazu äußert) ein Statement gegen den Vietnam-Krieg abgibt, für das Kate ihn bewundern kann und inwiefern das Werfen mehrerer Emanzipationsbewegungen und Diskussionen der Zeit in einen Topf eine differenzierte Behandlung ist, kann der Roman nicht beantworten.
In der Folge hält sich dessen Tiefgründigkeit in Grenzen. Offenbar liegt ihm die Annahme vieler „True Crime“ Werke zugrunde, aus den Ereignissen selbst würden sich schon ausreichend Erkenntnisse ergeben. Sollte dem so sein, dürfte das Lesen des Wikipedia-Artikels über den Fall Cooper den gleichen Erkenntnisgrad bieten. Im Fall von Jens Eisels Cooper ist dieser Einwand nicht von der Hand zu weisen.
Jens Eisel
Cooper
ISBN 978-3-492-05910-7
Piper
22,00 Euro
Kai Simanski (6/22)