Es gibt eine Sache, die mich seit einiger Zeit immer wieder beschäftigt. Ein Gedanke und eine Frage, die irgendwo in einer unauffälligen Ecke meines Gehirns sitzen und warten; warten, bis jemand eine Antwort auf sie hat. Ab und zu melden sie sich, zu unterschiedlichsten Zeitpunkten, in verschiedensten Situationen – die aber alle eines gemeinsam haben: das Schubladendenken.
Ein*e jede*r hat diesen Begriff schon einmal gehört (spätestens im Gottesdienst zum Schuljahresanfang letzten Sommer, in dem der Pastor über genau dieses Thema gesprochen hat). Und wie vielen Menschen bin ich schon begegnet, die sich ihr Kopfinneres tatsächlich als riesige Anlage lauter kleiner und größerer Schubladen vorstellen, in denen sie all ihre erworbenen Kenntnisse verstauen? Vielleicht müsste man die eine oder andere auch mal wieder ausmisten…
Bin ich zu dick? Bin ich zu dünn? Was denken wohl die Anderen über mich? Entspreche ich der Norm?
Diese und mehr Fragen stellen sich viele Jugendliche in Deutschland. Viele denken, sobald das Wort ,,Esstörung“ fällt eher an Magersucht oder Bulimie. Unter Magersucht versteht man eine schwere psychische Erkrankung von meist Mädchen und jungen Frauen, die oft ein verzerrtes Bild ihres Körpers haben. Obwohl diese schon meist sehr untergewichtig sind, fühlen sie sich meist trotz rapider Diäten immer noch zu dick. Im Gegensatz zu der Magersucht versteht man unter Bulimie eine ,,Ess-Brechsucht“, bei der Btroffene durch Essanfälle sehr viel Nahrung zu sich nehmen, diese jedoch durch Schuldgefühle wieder ,,loswerden“ durch Methoden wie Erbrechen oder Hungern.
Die Ursache von Anorexie ist bei vielen Patienten*innen eine falsche Selbsteinschätzung von ihrem eigenen Körper. Bei einem Test, bei dem Betroffene ihren Taillenumfang mithilfe eines Seiles schätzen müssen, schätzen sie diesen oft fast dreimal so groß wie er eigentlich ist. Martin Grunwald von der Universität Leipzig verknüpft dieses Phänomen mit einer Einschränkung der Tastsinneswahrnehmung und seine jahrelangen Testergebnisse beweisen die Richtigkeit dieser These. Er behandelt Magersüchtige indem sie sich mehrere Minuten pro Tag in einem taucherkleidung-ähnlichen Neoprenanzug bewegen sollen. Und im Gegensatz zu vielen verbalen oder medikamentösen Behandlungen zeigt diese Therapie mithilfe von Stimuli der eigenen Körperwahrnehmung tatsächlich eine Wirkung. Leider gibt es aber noch keine wissenschaftliche Studie, die eine Wirkung zweifelsfrei belegen könne, da es sehr schwer ist, finanzielle Förderung für klinisch-psychologische Forschung zu erhalten.
Was macht das Opfer zum Opfer und den Täter zum Täter? (und wie man damit umgeht)
Ein Interview mit Frau Malerba Gallistl
Wenn man gemobbt wird, kommt man in die Rolle des Opfers. Und in der Rolle des Opfers ist es nicht bequem. Man muss etwas ändern, sonst gewöhnt er sich daran, ein Opfer zu sein.
Und dann wird man garantiert ein Opfer der Kollegen, ein Opfer der Familie, ein Opfer des Partners und selbst ein Opfer der eigenen Kinder, die einen irgendwann sehr schlecht behandeln werden. Man bleibt in dieser Opferrolle.
Welche sind die negativen Folgen, dass man ein Opfer ist?
Ein Opfer zu sein nagt am Selbstwertgefühl. Und wenn wir kein gutes Selbstbewusstsein haben, wenn wir uns nicht schätzen und nicht lieben – und ich kann mich nicht lieben, wenn ich weiß, dass ich ein Opfer bin
– dann treffen wir falsche Entscheidungen. Wenn ich mal gemobbt wurde und nichts gemacht wird – obwohl ich mir klarmachen muss, dass man immer die Kraft für eine Veränderung hat – kann es sein, dass ich mich in die Isolation flüchte. Ich gehe nicht zur Party, oder zur AG. Es gibt immer Leute in Gruppen, die Probleme lieber alleine lösen, weil sie instinktiv denken, dass sie in der Gruppe als dumm oder inkompetent gelten oder beleidigt werden. Also flüchtet man sich in die Isolation.
Die andere Lösung, wenn man nicht den Weg der Isolation einschlägt, ist, dass man um Aufmerksamkeit bettelt. Betteln um Aufmerksamkeit ist etwas, dass beim anderen überhaupt nicht gut ankommt. Ganz besonders kennt man das von der Partnerschaft. Wenn ich meinen Partner um Aufmerksamkeit bitte wie „Wann wirst du mich endlich fragen, wie es mir geht?“ tendiert der Andere dazu, sich zurückzuziehen. Das kann natürlich auch zwischen Eltern und Kindern und in der Clique so gehen. Das Betteln um Aufmerksamkeit ist ein Teufelskreis. Man hat dann die Bestätigung, dass es nicht funktioniert. Es funktioniert nicht, weil ich ein Opfer bin.
Wenn ich als Opfer jemanden finde, der mich ernst nimmt, werde ich ihn immer als einen Retter behandeln. Und man wird sehr schnell Opfer vom vermeintlichen Retter. Auch das geschieht sehr oft in der Partnerschaft. Wenn ich kein gutes Selbstwertgefühl hat, werde ich dankbar dafür, dass ich akzeptiert werde und werde nicht denken, dass es mein Recht ist, akzeptiert zu werden.
Wir haben jetzt viel über das Opfer gesprochen, man muss aber auch die Probleme sehen, die dem Täter gelten. Denn der Täter fühlt sich wohl, solange er andere unterdrücken kann. Und das kann für eine lange Weile gut gehen. Aber die Gefahr steckt darin, dass er irgendwann selbst angegriffen werden wird und das wird früher oder später im Leben passieren. Und weil er sein Selbstwertgefühl auf dem Heruntersetzen anderer aufgebaut hat, steht er dann plötzlich vor dem nichts. Das passiert sehr häufig und führt dann zur Depression oder zur Sucht. Dann muss man gucken, warum jemand das Bedürfnis hatte, alle anderen klein zu machen. Das liegt nämlich daran, dass er seine eigenen Emotionen, zum Beispiel Schmerz unterdrückt hat. Wenn man merkt, dass man ein Aggressor ist, und früher oder später wird man das merken, dann wird man auch merken, dass man in die Isolation geraten ist. Man ist zwar ein großer Held, aber komplett isoliert. Das ist eben die Rückseite der Medaille. Verena Kast, eine sehr interessante Psychoanalytikerin aus Zürich, spricht direkt von einer Verklammerung von Opfer und Aggressor.
Wenn jemand als Kind gemobbt wurde, wird er auch später noch die ganze Problematik des Opfers haben, aber
Das heißt, er wird Schadenfreude empfinden oder andere attackieren. Es kann auch intrapsychisch funktionieren, sodass er sich selbst attackiert. Er wird immer Migräne haben, oder sich selbst auf andere Weise schaden. Es wird sich im Körper kristallisieren. Natürlich kann man keinem Kind, das gemobbt wird sagen „du bist auch ein Aggressor“, aber es wird sich dorthin entwickeln. Die Rückseite des Opfer-Seins, ist das Aggressor-Sein. Und wenn ich mich von der Opferrolle verabschiede, verabschiede ich mich auch von dieser Rolle. Der Vorteil ist, dass ich nun mein Leben gestalten kann, mit Freiheit und mit Freude.
Wie kann man sich denn selbst helfen?
Grundsätzlich ist es gut, darüber zu sprechen. Ich bemühe mich an der Schule sehr, gewisse Themen zu enttabuisieren, seien es Suchtproblematik, Depressionen oder Mobbing. Zuerst einmal muss man sich trauen jemanden zu finden, der ein offenes Ohr hat. Darum haben wir auch die Beratungsstellen am Andreanum eingeführt, damit man die Möglichkeit hat, mit gewissen Lehrern zu sprechen, die ein offenes Ohr haben sollten. Wenn sich der entsprechende Schüler zu Hause wohlfühlt, kann er das natürlich auch mit den Eltern besprechen. Bei den Eltern kann es allerding schwieriger sein, denn oft wird man ein Opfer, weil man in der Familie schon unterdrückt wird, die Eltern zu viel erwarten und weil man sich in der Familie daran gewöhnt hat, falsche Rollen einzunehmen, um die Eltern zufriedenzustellen. Die Hauptsache ist, dass man weiß: Man muss darüber sprechen.
Man muss darüber sprechen und wenn ich ein wenig älter bin muss mir im Klaren sein, dass es in meiner Verantwortung liegt, mich von der Opferrolle zu verabschieden, damit gewinne ich die Freiheit. Leben gelingt nur, wenn ich es selbst in die Hand nehme. Wie schaffe ich das? Zuerst rede ich darüber, ich kann zum Beispiel die Eltern bitten, die Schule zu wechseln.
Wie kann man den sein Selbstwertgefühl verbessern?
Man muss sich schon ein bisschen damit beschäftigen. Man muss sich fragen, welche Rolle man spielt.
Wenn ich mich lange mit der Frage beschäftig, werde ich merken was mir gefällt und was nicht. Ich habe Kraft, wenn ich das mache was mir gefällt und ich werde schwach, wenn ich mich in Rollen zwänge, die andere von mir erwarten. Und es kann sein, dass das lange Zeit geht, aber dann falle ich in die Sucht. Ich muss mich verrückt machen um die Klausur gut zu machen und vielleicht ist es mir ganz egal, ob die Klausur gut läuft oder nicht, aber ich weiß, es wird erwartet.
Das Leben entwickelt sich stetig weiter und ich muss mir immer die Frage stellen, ob das was ich mache für mich Sinn ergibt und ob es mir Freude schenkt. Das wird oft unterschätzt. Man denkt sich „das bringt viel Geld“ und es bringt viel Geld, aber keine Freude. Natürlich macht nicht alles immer Spaß, auch bei Sachen die mir gefallen. Manche Sachen machen mir keinen Spaß, aber ich weiß, dass es sinnvoll ist. Es muss Sinn ergeben. Und wenn das zutrifft baue ich mein Selbstwertgefühl auf, denn dann merke ich, dass ich mich entdeckt habe. Ich weiß was ich will und beginne mich zu lieben, zu schützen und zu akzeptieren.
Auch wenn ihr in der letzten Zeit nicht in der Bibliothek wart, sind euch bestimmt die Plakate mit dem Titel „Boys and books“ ins Auge gefallen, die für ein neues Regal mit Büchern speziell für Jungs werben sollen. Viele kritisieren dies als sexistisch. Das Problem, das viele hier sehen ist; dass dadurch sowohl bestimmte Bücher einem Geschlecht zugewiesen werden, als auch den Jungen einen bestimmter, stereotypischer Buchgeschmack. Inwiefern sollte man Bücher gendern?