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Freiheit hat viele Dimensionen

Wenn es eine Sache gibt, deren Mangel wir in letzter Zeit intensiv erleben durften, dann ist es Freiheit, die Freiheit, Restaurants zu besuchen, um die Welt zu reisen oder auch nur mal eine Feier mit der Familie zu veranstalten. Viel eher würden wir Nachrichten großer Festivitäten in Zeiten von Corona-Einschränkungen alles andere als positiv auffassen, egal wie sehr, oder gerade weil wir die eigene Freiheit vermissen. Vermutlich fällt es leicht, mit solchen Empfindungen zu sympathisieren, nachdem wir sie nun seit über einem Jahr erleben. Gleichzeitig sind wir allerdings keine allzu großen Freunde der Querdenker oder anderer Verschwörungsmythen, die neben seltsamer, realitätsferner Weltsicht auch gerne behaupten, genau hierfür zu kämpfen: Für die Freiheit.

Der Ärger mit Freiheit besteht darin, dass es sich um eine verdammt komplizierte Sache handelt. Wenn wir uns Phänomene wie starken Widerstand gegenüber Corona-Maßnahmen, Verweigerung von Impfungen oder auch nur größere Zusammenkünfte in Zeiten strikter Kontaktbeschränkungen anschauen, kommen wir recht schnell zu einem Kritikpunkt: Solches Vorgehen sei egoistisch, die Corona-Maßnahmen und die Impfung dienten dem allgemeinen Schutz, gerade dem Schutz von Menschen, welche in weniger privilegierten Positionen oder durch andere Umstände noch weiter gefährdet sind. Und wer es sich nicht nehmen lässt, eine Party während einer Corona-Welle mit steigenden Inzidenzen zu schmeißen, gefährdet nicht nur alle Beteiligten, sich selbst eingeschlossen, sondern auch die Allgemeinheit und ist dadurch enorm egoistisch.

Im Argument des Allgemeinwohls finden wir einen Schlüssel dazu, wie Freiheit bei uns konzipiert ist: Als ein in der Gesellschaft gerecht verteiltes Gut. Freiheit ist damit nicht mehr allein das Potential des Individuums zur Selbstbestimmtheit, sondern das möglichst gleich verteilte Potential der Selbstbestimmtheit aller Individuen einer Gesellschaft. Auf dieser Basis ist es nachvollziehbar das Bestehen auf individuelle Freiheit zu kritisieren, sobald dieses beginnt, die Freiheit anderer einzuschränken. Die Politik hat hierfür eine Floskel gefunden, die sich „Solidarität“ schimpft und, zugegebenermaßen angesichts ihrer stumpfen Wiederholung, recht nervig geworden ist, im Grunde aber dieses Konzept anzusprechen versucht. Problematisch wird es dort, wo dieser theoretische Anspruch nicht der Realität entspricht.

Ein anderes Ärgernis mit Freiheit besteht nämlich in ihrer praktischen Anwendung. Etwa die USA, ein Land, das sich „Freedom“ zu einem heiligen Wort gemacht hat, begründen damit ein Wirtschaftssystem, über das wir in der deutschen „sozialen Marktwirtschaft“ nur den Kopf schütteln können. Enorme Kluften zwischen sozialen Milieus sowie andauernder Probleme mit Diskriminierung, etwa in Form von Rassismus, klingen in diesem Rahmen nicht wirklich nach der proklamierten „Freiheit“, monopolistische Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley und freier Waffenbesitz, während parallel Schulrucksäcke mit kugelsicheren Rückwänden aus nachvollziehbaren Sicherheitsbedenken verkauft werden, eher nach einem Überborden einer Freiheit, der es nicht zu frei ist, ihre eigene Untergrabung zuzulassen.

Wenn individuelle Freiheit ein zu großes Maß erreicht, ermöglicht sie die Gefährdung der allgemeinen Freiheit, vor allem dann, wenn neben dem theoretischen Recht praktische Ungleichheit existiert, etwa ökonomischer Art oder auch als Ergebnis menschlichen Umgangs, etwa gesellschaftlicher Ausgrenzung. Eine unbegrenzte Freiheit ist eine Bedrohung ihrer selbst.

Eine andere praktische Anwendung, deren Kritik wir schwerlich auf die USA beschränken können, liegt in unserer Freiheit im Konsum, deren Basis in umweltschädlicher Produktion angesichts zunehmender Folgen des Klimawandels unliebsamer wird. Damit aufgewachsen, je nach Generation umso länger an diesen Zustand gewöhnt, besteht großes persönliches Investment in der materiellen Freiheit, alles, was wir haben wollen, kaufen zu können, während unser Wirtschaftssystem durch kostenoptimierte Massenproduktion nur alles tut, diesem Verlangen gerecht zu werden und uns dabei womöglich auch ein wenig lehrt, alles, was wir kaufen können, haben zu wollen. Einzug findet diese Dimension in ganz persönliche Aspekte, etwa die Selbstdarstellung durch Kleidung, oder kurzlebiger, neuer und teurer Technologie als Statussymbol, während ihre Vorgänger sich in schlecht recycelten Haufen an Elektroschrott auftürmen. Wenn Konsum zu einer Form der Umsetzung des Individualismus wird, wird verständlich, wie Einschränkungen dieses als Einschränkungen der persönlichen Freiheit angesehen werden können.

Im Kontrast hierzu muss man eine Eigenart des Klimawandels sehen, die uns vor eine vollkommen neue Herausforderung stellt: Es handelt sich nicht nur um ein komplexes Zusammenwirken vieler Phänomene, deren Probleme auch durch das Verpuffen der Elektroschrottberge und dem Bekleiden der Welt im Lendenschurz nicht verschwinden dürften, sondern auch um ein Gesamtproblem, dessen Gefahren zeitlich über mehrere Generationen hinweg in die Zukunft reichen. Während wir in der allgemeinen Freiheit zwar eine „Solidarität“ zwischen allen Menschen argumentieren, ist nun eine Solidarität gegenüber zukünftigen Menschen gefordert; sollten wir in aktueller Zeit allzu sehr auf unsere Freiheit bestehen, sogar wenn diese beschränkt ist, um gegenwärtig nicht ihre eigene Abschaffung zu tolerieren, kann der Preis dafür eine zwangsweise verringerte Freiheit in folgenden Zeiten sein.

Auch angesichts der Corona-Maßnahmen, welche zentral in der Absicht, die Pandemie nicht nur unter Kontrolle zu kriegen, sondern auch in ihrer Intensität einem Ende zuzuführen, beschlossen werden, lässt sich diese Dimension von Freiheit finden. Wenn gegenwärtiges Bestehen auf ein großes Zusammenkommen Inzidenzwerte in die Höhe treibt oder geringe Impfquoten eine zu große Gefährdung für Lockerungen bedeuten, verlängert sich die Dauer der Pandemiebekämpfung, die Dauer der Zeit, in der wir begründete Einschränkung unserer Freiheit hinnehmen müssen. Der Theorie nach dürften wir hingegen, desto eher wir eine temporäre, gegenwärtige Einschränkung unserer persönlichen Freiheit hinnehmen, diese in größerer, langzeitiger Dimension zurückerlangen.

Letztlich bedeutet Freiheit nicht allein das emotional positiv behaftete Ideal, sondern Verantwortung für das eigene, freie Handeln. Während ein Staat zwar dem Erhalt verbundener Rechte verpflichtet ist, müssen wir Konsequenzen dieses freien Handelns selbst tragen. Und während wir selbst nicht dazu verpflichtet sind, sollten wir die Verantwortung anerkennen, die wir somit gegenüber der allgemeinen Freiheit, der Freiheit anderer, tragen, sowohl auf allgemeiner als auch auf zeitlicher Ebene. Der Weg hierzu ist, sich von Freiheit als simplem, allgemein positiv behafteten Ideal und rein persönlichem Anspruch zu lösen und sie als komplexen Zusammenhang in allen ihren Dimensionen zu erkennen.

Kai Ulrich Simanski (12/21)

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