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Auf der Suche nach Repräsentation: Die deutsche Realität

In einem multikulturellen Land wie Deutschland, in dem über 80 Millionen Menschen leben, unterscheiden wir uns nicht nur in Identität, Geschlecht und sozialem Milieu, sondern auch in Interessen, Moralvorstellungen und vielem mehr. Aufgabe einer repräsentativen Demokratie ist es somit, diese Vielfalt in all ihrem Facettenreichtum zu vertreten. Die oft angeführte These, es habe sich eine permanente politische Klasse etabliert, die von der und nicht für die Politik lebe und sich von den Bürger*innen entferne, muss daher als schwerer Vorwurf gegenüber unserer Demokratie verstanden und ernsthaft beleuchtet werden.

Ein kleiner Faktencheck mit kritischer Betrachtung:

Der Bundestag, das Herzstück unserer Demokratie, ist mit 735 Mitgliedern eines der größten Parlamente weltweit. Soll die Anzahl an Abgeordneten an anderer Stelle diskutiert werden, kann schnell ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen Größe und Vielfalt geschlossen werden, der sich bei genauerer Betrachtung als gänzlich falsch erweist. Das Durchschnittsalter der Bundestagsabgeordneten ist mit 47,5 Jahren jünger als in der vergangenen Legislaturperiode und nur um ein paar Jahre älter als das Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung. Klar unterrepräsentiert sind hingegen die unter Dreißigjährigen mit lediglich 47 Abgeordneten, wobei über 70% hiervon aus der Fraktion von Grünen und SPD stammen. Noch ernüchternder fällt der Anteil an Frauen im deutschen Bundestag mit 35% aus, welche dem Mann eine klare Dominanz im Parlament zuschreibt, die so nicht in der Gesellschaft zu finden ist. Braucht es also ein Paritätsgesetz wie es die Grünen fordern, dass es eine Quotierung sowohl für Listen als auch für Direktwahlkreise geben muss, wodurch mind. 50% Frauen im Bundestag sitzen?
Dass solch ein Gesetz funktionieren kann, zeigt uns der ostafrikanische Binnenstaat Ruanda, indem seit fast 20 Jahren Geschlechtergerechtigkeit herrscht und über 60% der Abgeordneten im Parlament weiblich sind.

Neben vielen Menschen, die in der Unternehmensorganisation und Verwaltung arbeiten, sind ebenso Juristinnen und Juristen sowie Berufe der Geistes-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften stark vertreten, wohingegen soziale und handwerkliche Berufe kaum bis gar nicht im Parlament vorkommen. Die Angst, dass sich der anfangs gestellte Vorwurf, es habe sich eine permanente politische Klasse etabliert, bewahrheitet, wird noch größer, zieht man in seine Betrachtung den Fakt hinzu, dass die Zahl derer, die einen Doktortitel haben, 15-mal größer ist als im gesamtdeutschen Vergleich. Kann so über die Überwindung der sozialen Ungleichheit im deutschen Bundestag überhaupt repräsentativ debattiert, geschweige denn eine nachhaltige Lösung erarbeitet werden?

Nach dem Bundestag kommen wir zur wichtigsten politischen Partizipationsmöglichkeit, die der Gesetzgeber für uns deutsche Staatsbürger*innen vorsieht. Die Rede ist selbstverständlich von der Wahl, wodurch alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll. Erschreckend ist dabei, dass festzustellen ist, dass bei der letzten Bundestagswahl 25% der Wahlberechtigten nicht teilnahmen. Noch deutlich niedriger fällt die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen aus (Niedersachsen 2021: < 60%). Auffällig ist bei spezifischerer Betrachtung der Wahlergebnisse, dass die Wahlbeteiligung unter den einzelnen Stadtbezirken stark schwankt.[1]  Schnell taucht dabei der Gedanke auf, politisches Desinteresse entstehe häufig in sozial schwächeren Vierteln. Wichtig ist es, den Ursachen auf den Grund zu gehen, warum sich diese Bürger*innen bewusst gegen ihr Stimmrecht entscheiden, denn um soziale Spannungen zu lösen, muss sich jede*r in unserer Demokratie rechtmäßig repräsentiert fühlen. Deshalb ist es ein gesellschaftliches Problem, wenn nur 1/3 der Wahlbeteiligten in der Nordstadt bei der letzten Kommunalwahl teilgenommen haben. Politiker*innen müssen überall präsent sein, unabhängig von der Aussicht auf viele oder wenige Stimmen für die eigene Partei. Nur so kann wirklich alle Macht vom (gesamten) Volk ausgehen.

In einem letzten Aspekt möchte ich auf eine Frage eingehen, die wir uns im Politikkurs gestellt haben. Geht denn wirklich alle Macht vom Volke aus, wenn bei jeder Bundestagswahl rund 14 Millionen Menschen von der Wahl ausgeschlossen werden? Die Rede ist von den Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, die morgen genauso die Konsequenzen von der „Politik“ von heute (er)tragen müssen wie jeder Erwachsene, wenn nicht sogar noch mehr in Bezug auf Klimaschäden oder ganz explizit die sich immer mehr zuspitzende Wohnungssituation. Sollen nun also alle Kinder wählen dürfen, bzw. die Erziehungsberechtigten ihr Stimmrecht bekommen? Diese Frage kann ich zwar nicht beantworten, dennoch möchte ich ein absurdes wie banales Beispiel entgegenstellen. In unserer derzeitigen Demokratie hat ein 80-jähriger Mann genauso viel Stimmrecht wie eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern.

Es wird klar, dass ein kleiner Faktencheck genügt, um aussagen zu können, dass unsere jetzigen Gesetze einen Nährboden für Vorwürfen gegen eine repräsentative Demokratie bieten. Die Vielfalt des 21. Jahrhunderts kann sich in immer noch teils elitären und patriarchalen Strukturen unserer Demokratie nicht genügend ausbreiten. Effektive Maßnahmen dagegen wie beispielsweise ein Paritätsgesetz gibt es nicht. Wenigstens soll ein kleiner Schritt Richtung vermehrter Repräsentation unter der neuen Ampel-Regierung durch ein Wahlalter ab 16 eingeführt werden. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Jakob Beck (12/21)


[1] Möchtet ihr wissen, wie das Wahlergebnis in eurem Ortsteil ausgefallen ist? Schaut einfach mal unter folgendem Link nach: https://www.hildesheim.de/rathaus/wahlen/kommunalwahl-2021.html

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