Kategorien
Geschichten Kultur und co

„Zeit für die Nachrichten“

Von Barbara Liliana Prinzing

Illustration von Sebastian Paland

„Es ist gleich acht Uhr, Zeit für die Nachrichten“.

Stets pünktlich verließen diese Worte die Lippen meines Großvaters.
Als kleines Mädchen saß ich oft hibbelig auf dem Sofa,
wollte lieber Spielen und Springen, anstatt mir die Tagesschau anzusehen.
Vielleicht spazieren gehen, mich im Kreis drehen – es gab immer viele Ideen.
Hauptsache, alle waren zusammen – lachten und dachten aneinander und standen vereint vor jeglichen Flammen.

„Es ist gleich acht Uhr, Zeit für die Nachrichten“.

Heute ist der Ablauf zwar bekannt, aber mein Körper angespannt.
Vergessen ist die Vorfreude auf das Danach, denn nun prägt mich die Angst vor dem Jetzt. Was mir früher eine freudige Zukunft versprach, das stürmt heute auf mich ein.


Denn jetzt guck‘ ich in die Nachrichten rein und was ich sehe, ist Schmerz.
Schmerz und Leid und Leid und Schmerz eine Krise, die die andere jagt.
Menschen, denen die Stimme versagt.

„Es ist acht Uhr, Zeit für die Nachrichten“.

Heute sieht mich meine Familie an und sagt:
„Weißt du was? Ich trau‘ mich nicht. Ich trau‘ mich nicht mehr, die Nachrichten zu gucken und ich kann nicht länger an den ständigen Katastrophen meine Freude verschlucken. Ich weiß nicht, wie ich helfen und etwas bewegen kann,
denn nun ist es fast zu spät, jetzt müssen alle mit ran!
Aber wir sind ein freies Land,
jeder kann entscheiden, was er tut, und versteht mich nicht falsch, das ist gut!
Nur ist die Frage, wie lange unsere Erde noch in sich ruht.
Wie lange sie uns noch einen Ort zum Leben und Verweilen schenkt,
wenn jeder immer nur an sich selber denkt.“

Wir fühlen uns alle überrannt,
übermannt von den Krisen der Welt, die keiner tragen kann und unseren eigenen, die stetig präsent bleiben.
Ihr seid die Zukunft!
Eine Zukunft, die wir gestalten und leben sollen,
euch aber trotzdem Respekt vor eurer Macht zollen und diese nicht in Frage stellen sollen!

„Krisensituationen schweißen zusammen“, so sagt man das doch, oder?
Doch heute stehen wir hier – die Gesellschaft tief gespalten und so entfernt voneinander in ihrem Verhalten.
Ständigen Druck aufeinander ausübend und unser erster Blick gilt dem Label, das wir uns aufsetzen unser Gegenüber einschätzend und das eigentliche Sein – das rückt in den Hintergrund. Stattdessen übernehmen Social Media und Geld die Welt,
eine Welt, die uns nicht mehr lange hält,
eine Welt, in der Kinder Kinder umbringen,
ihre Psyche verstellt und in der unser Geist in unseren eigenen Grenzen eingeschlossen bleibt. Insgeheim auf den eigenen Vorteil bedacht, tun wir tolerant und offen, aber beim eigenem Verzicht

hört der Spaß auf und auf Nächstenliebe und Freundlichkeit kann man nur noch hoffen. „Es ist acht Uhr, Zeit für die Nachrichten“.

Heute sehe ich meine Mutter an und sage:
„Weißt du was? Die Nachrichten machen mir Angst.
Es macht mir Angst, wie grausam Menschen miteinander umspringen,
sodass sie gezwungen sind, voreinander zu fliehen.
Es macht mir Angst, dass ich unfassbar gerne Kinder hätte, mich aber heute frage,
ob ich überhaupt mit gutem Gewissen ein Kind in diese Welt setzten kann,
ohne es in ein Leben zu verbannen, das es gut möglich nicht ertragen kann.
Aber fernab von dieser Benommenheit und Beklommenheit bin ich wütend!
Wütend über die Ungerechtigkeit, die Scheinheiligkeit, das Belügen und Betrügen, die Unachtsamkeit und Abhängigkeit.
Meine Abhängigkeit.
Die Abhängigkeit von diesem Leben, von dieser Gesellschaft, meinem Handy, meiner Kleidung und der Notwendigkeit,
diesem Leben zu entfliehen, um meinem Kopf eine Pause zu gönnen und endlich mal wieder frei atmen zu können.

„Es ist acht Uhr“.
Es ist acht Uhr und ich will die Nachrichten gucken, mich für die Welt und ihr Geschehen interessieren,
ohne dabei selber vor dem Leben zu fliehen.
Es ist acht Uhr, die Zeit ist fast rum – ich möchte aber stark sein und kämpfen,
offen sein und mich für eine bessere Welt einsetzten, mich nicht selber begrenzen,
mit meinem eigenen Kopf denken, mich nicht in Melancholie versenken
und so das Geschehen der Welt lenken um uns ein besseres Morgen zu schenken!

Jetzt ist es gleich acht Uhr. Wer guckt mit mir Nachrichten?


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert