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Solidarität für…? – Ein Schülereindruck

Wer zu dieser Schule gehört und am 10. März nicht verhindert war, dürfte die Aktion kaum verpasst haben. Nach dem Big Shot inklusive blauer und gelber Zettel – den Farben der Flagge der Ukraine, welche seit dem 24.Februar die Folgen eines Angriffskrieges eines unsympathischen, anachronistischen Nationalisten zu erleiden hat – mit hinten angehefteter Bastelaktion, folgte die Menschenkette, „eine Menschenkette für den Frieden in Europa und der Welt und gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine“, wie Herr Wilkening in seiner Mail hierzu schrieb.

Meine ist die Perspektive von jemandem, der (1) zunächst nicht direkt von Putins Angriffskrieg betroffen ist (von der emotionalen Ebene einmal abgesehen) und (2) und einige Zeit auf seinem gemütlichen Stuhl namens Alltag sitzen kann, ohne damit rechnen zu müssen, allzu bald davon heruntergerissen zu werden (von der ideologischen Ebene einmal abgesehen).

Die Aktion begann mit den „Friedensimpulsen“ von Herrn Wilkening und der SV, wobei besonders Linus Klante mit einer klaren Positionierung gegen Putin, welcher „keinen Wert auf Diplomatie und Solidarität“ lege, in Erinnerung bleibt. Zudem äußerte sich Regionalbischöfin Ruck-Schröder wortstark zu der Sprachlosigkeit, die eine solche Situation verursacht – welche jedoch durch eine „neue Sprache“, welche am Andreanum gefunden worden sei, überwindbar würde. Entscheidend war auch ihre Neuinterpretation von Symbolen: Ein Symbol sei eine Aktion.

Ein Problem der Aktion, welches mir in nachträglichen Diskussionen in den Kursverbänden immer wieder auffiel, war die programmatische Ungenauigkeit. Die Intention sowie die klaren Positionierungen sind kaum zu kritisieren, erst recht nicht in ihrer Deutlichkeit. Während Klante allerdings fraglos die stärkste aller Reden hielt, wirkte es leicht befremdlich, Ausführungen über die Aussichtslosigkeit von „Diplomatie und Solidarität“ und dem daraus folgenden Bedarf an einer wehrhaften Demokratie vor einer riesigen Gruppe aus, unter anderem, Fünftklässlern mit Pappschildern voller Peace-Zeichen zu hören. Vielleicht ist eine derartige symbolische Aktion besser mit einer einfachen Darstellung zu mobilisieren.

Zugleich ist die Behandlung eines derartigen Themas, eines Krieges, ein zutiefst politisches Thema, selbst bei der unschuldigsten Aktion für das Ideal Frieden, so dass eine differenziertere Betrachtung oder auch nur ein deutliches Zeichen des Bewusstseins für die Implikationen, welche eine Aussichtslosigkeit ohne „Wehrhaftigkeit“ mit sich bringt, sicherlich nicht geschadet hätte. Es ist anzunehmen, dass mit der wehrhaften Demokratie Vorgehensweisen wie etwa die Sanktionierung Russlands gemeint waren, nicht-militärische Maßnahmen, welche dennoch über einfache Diplomatie hinausgehen. Allerdings befindet sich zurzeit eine Menge Material in der Luft, aus dem man mit Leichtigkeit etwa ein kriegslegitimierendes, ideologisches Narrativ basteln könnte, so dass man aufpassen sollte (1) nicht zu diesem entweichenden Gas beizutragen und (2) nicht allein darauf zu hoffen, dass niemand zündeln wird, sondern präventiv zu entschärfen.

Der Verlauf der Aktion verdeutlichte diese Schwierigkeiten. Mehrere La-Ola-Wellen wurden im Nachhinein teils als unpassend empfunden. Andere hielten hingegen, dass diese die Euphorie für den Frieden ausdrücke. Ob die Aktion nun zentral (1) für den Frieden (in Europa und der Welt), (2) gegen Putin oder (3) in Solidarität mit dem Leid in der Ukraine geschah, dürfte hierbei tatsächlich entscheidend die Betrachtung prägen. In der Realität schien sich von allem ein wenig zu finden, das gemeinsame Singen von „Bewahre uns Gott“ dürfte wohl als Bitte zum Schutz der leidenden Ukrainer als Teil einer Welt- oder vielleicht immerhin europäischen Gemeinschaft zu verstehen sein, auf den Plakaten fanden sich sowohl Ablehnung von Putin als auch Bejahung des Friedens. Immerhin zum Teil wurden entsprechende Diskussionen durch den Hinweis, dass die La-Ola-Wellen offenbar durch Lehrer angeleitet wurden, vereinfacht. Allerdings hätte auch hier eine deutlichere Programmatik vieles vereinfachen können.

In der Realität spürte ich in meinem Umfeld allerdings zunächst gar keine so großen Sorgen über Programmatik, die Stimmung war mehr oder weniger gut, dem Wetter entsprechend. Allerdings entstand einige Verwirrung durch die Vorgänge, die dem Begriff einer Menschenkette, einer Kette, nicht wirklich gerecht wurden. Eine größere Sorge schien jedoch das Senden der Nachricht „Kirschbaum“ in der wohl größten Runde Stille-Post aller Zeiten zu sein – welche allerdings, wie die La-Ola-Wellen, trotz mehrerer Anläufe scheiterte. Zwischendurch ging es mehrere Male vor und zurück, keiner wusste so recht wohin. Auf dem Rückweg dominierte der Eindruck mangelnder Koordination. Unser erstes Resümee:

  • Die Lehrer: Total wichtiges Statement gegen den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine abgegeben.
  • Die Schüler: Stille Post gescheitert, keine La-Ola-Welle geschafft.

Rückblickend könnte man anhand einer solchen Darstellung jedoch ein falsches Bild von der Aktion bekommen. Die Intention war fraglos nobel und die organisatorischen Schwierigkeiten möglicherweise eine Folge knapper Zeit. Auch für Atheisten dürfte der zumindest symbolische Charakter einer Friedenskerze nicht vollkommen unbedeutend sein. Möglicherweise war die Aktion auch ein etwas anderes Erlebnis für die jüngeren Klassenstufen, welche zumindest anhand ihrer vielfältigen Plakate und Banner den Eindruck erweckten, etwas mehr in die Aktion involviert gewesen zu sein. Auch die Friedenskerze bekamen wir hinten an der Kirche nie zu sehen. Vermutlich dürften die Schwierigkeiten dieser Aktion als Lernerfahrung für die Schulgemeinschaft zu verbuchen sein, immerhin erlebte ich in meinen Kursverbänden intensive Diskussionen, denen dieser Bericht viele Überlegungen verdankt.

Letztlich ist zu bedenken, dass die beiden vorgehenden Aktionen schließlich zum Sponsorenlauf führten. Es ist grundsätzlich schwer, ein Problem mit der Spende von Geld an Hilfsorganisationen zu finden. Auch ohne La-Ola-Wellen und Stille-Post wurden offensichtlich eine Menge Runden zusammengelaufen, wobei sich manche zudem durch einen außergewöhnlichen Einsatz über die eigentlich vorgegebenen Zeitgrenzen hinaus auszeichneten. Regionalbischöfin Ruck-Schröder spendete im Rahmen einer nicht allein symbolischen Aktion immerhin 500 Euro (!). Ich selbst lief neun Runden und stolperte dabei über nicht so viele programmatische Schwierigkeiten.

Kai Simanski (3/22)

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